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Freitag, 10. Juni 2011

Schlanker schwarzer Stoffbeutel mit O-C-A darauf – das Introjekt in Gestalt einer Semblage




Was sich an reziproker Identifizierung des Subjektes mit dem Objekt des oralen Begehrens abzeichnet, läuft, …, auf eine konstitutive Zerstückelung hinaus.“ (J. Lacan, Sem. VIII, 1961, S. 269)


Die jungen Frauen, die bei mir in der Gegend die Modeläden frequentieren, und dazwischen an einer belebten Ecke mit U-Bahn-Treppe Kaffee trinken, geben sich Mühe, dabei unglaublich entspannt auszusehen, sie sind es offenbar nicht, denn kurz nachdem sie sich ausstrecken, räkeln, Schaum schlürfen, werden die Zigaretten wieder ausgedrückt und wenn nicht ein eigener Impuls sie aufspringen läßt, drängt die Freundin sie in die nächste der Boutiquen, wo sie mutmaßliche mehrere Bedarfssätze des Alg2 in etwas – allerdings auch schön geschneiderten – Chiffon investieren. Kann es sein, daß dieses Bemühen auch einen Hauch von Unsicherheit bedecken soll? Ich traue den meisten von ihnen durchaus zu selbst entsprechende Monatsgehälter nach Haus zu bringen, das ist es nicht, aber man könnte ja auch etwas sparen, auf ein Haus, das später zu kaufen viele harte Arbeitsmonate oder auch ein nachhaltiges Bestehen vieler Rosenkriege erfordern wird. Laufen sie in Eile ihrem Leichtsinn hinterher, sich so auf die Kontinuität des so flüchtigen Begehrens verlassend – in ihrer Arbeitskraft, ihrer beauté, ihrer Entschlossenheit? Und wie ist es mit dem eigenen Begehren? Wenn sich unsere Blicke treffen, schlagen viele die Augen nieder. Ich überlege, ob es etwas mit meine Klamotten zu tun hat, ich trage, was ich sonst nur zu Hause anhabe, aber nun, weil ich gerade Urlaub habe, einmal auszuführen wage. Nur im Urlaub verlässt mich anscheinend das Gefühl, ich könnte jederzeit auf der Straße Analysanten oder Kollegen treffen, denen ich mich nicht so casual zeigen möchte. Könnte die Scham, die sich in dem Ausweichen ja zeigen mag, etwas damit zu tun haben, daß sie sich für eine kurzen Moment erschüttert sehen in dem Verfolgen einer lückenlosen Begehrenskette, nächstes, noch schöneres Kleid, schöner Schuh, die dennoch ja komplett an die Existenz einer übernächsten Ware gebunden ist: Den überteuren Kauf von Kleid X kann frau nur im Schutz der bereits latenten Hoffnung auf Kleid xy halbwegs angstfrei bewältigen – da es ja um die Verdeckung des Begehrens durch ein serielles Warenaneignen geht. Die pathetisch hohen Preise, die natürlich nicht bei den Näherinnen dieser Kleider etc. ankommen, wären so auch eine Art invertiertes Schmerzensgeld für die Anstrengung, die Kette nicht abreißen zu lassen (weshalb sie es ja auch nicht mal im Café aushalten, wo auch ein wenig pathetische, aber doch irgendwie noch reale Preise gelten). Und von Erschöpfung zumindest kann die Rede sein, ähnlich wie Anne Retzlaff von sissimetal andeutet: „ich will so viel/ I'm so unreal/ automatic“. Während es in dem Song bei dieser Textzeile bleibt, tanzt Frau Retzlaff zu dieser Musik eine Art erwartungsvoller Trance, die für die Verlorenheit in der erschöpfenden, aber nicht befriedigenden Kette steht, und gibt sich den Blicken preis, die ein erlösendes wie gefürchtetes (Männer denken früher an „reale“ Häuser) männliches Begehren tragen könnten. Allein, solange nicht innegehalten wird, kann sie es nicht sehen.Der Semblagecharakter der Modeobjekte könnte nun so zu verstehen sein, daß sie zwar als Wunschobjekte behandelt, anprobiert und teuer bezahlt werden, sie aber nur als semblant, als „nur beinahe“ Wunschobjekte gesehen werden, von denen das Begehren im Moment der Aneignung verschwindet und auf ein nächstes, noch perfekteres Teil verschoben wird. Meiner Meinung nach widerlegt der naheliegende Einwand, die Frauen kauften doch die schönen Kleider, um sich in lieber Gesellschaft schön zu zeigen, sich an dem Wahrgenommenwerden in dress zu erfreuen etc. meine These nicht – wäre es so, nähmen sie ihre Männer mit, deren ästhetisches Urteil und deren pekuniäre Vorsicht hier ja wertvoll wären, ginge es nicht um einen Exzess, der schamhaft bedeckt wie unbedingt in Bewegung gehalten werden muß. Eine Frau mit einem Stoffbeutel, auf dem in Großbuchstaben „O-C-A“ steht, fällt mir durch ihre Gelassenheit auf. Eigentlich der Überzeugung, hier eine weitere á-la-mode gesehen zu haben, läßt mich ihre Trägheit kurz zweifeln, und so googele ich im Fortgehen die Buchstabenfolge, erfahre, daß sie entweder für eine norwegische Künstlerorganisation oder einen europäischen Sekretariatsservice stehen. Etwas Reales in jedem Fall, denke ich, und bin froh, daß mich mein Gefühl nicht getäuscht hatte und ich der Trägen nicht länger Unrecht tue. Als Gruß für die á-la-mode denke ich mir, sage ich beim nächsten Mal „Kalimera!“, das heißt, so las ich bei Lacan (auch im Sem. VIII), „Schönes Begehren!“.

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