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Dienstag, 23. August 2011

Die ersten Sätze.

Die ersten Sätze

für U.


The sea is high again today, with a thrilling flush of wind. Lawrence Durrell, Justine

Lange Wellen treiben schräg gegen den Strand, wölben Buckel mit Muskelsträngen, heben zitternde Kämme, die im grünsten Stand kippen. Uwe Johnson, Jahrestage

Geboren und aufgewachsen bin ich in einer kleinen, niedrigen Erdgeschoßwohnung von etwa dreißig Quadratmetern. Amos Oz, Eine Geschichte von Liebe und Finsternis

Ihr Menschenbrüder, lasst mich euch erzählen, wie es gewesen ist. Jonathan Littell, Die Wohlgesinnten

Wenn ich den Sommer besuchen will, habe ich es nicht weit. Joachim Gauck, Winter im Sommer – Frühling im Herbst

Indgangen fra Vesterbrogade til Westend var en smal port mellem en elegant møbelforretning og en lille snusket aviskiosk. Kirsten Thorup, Himmel og Helvede

Am Anfang stand für mich der Mythos, Hirschfelder, die Schriftsteller-Ikone, der große Einsame, der Monolith, wie es hieß, der seit dem Krieg in England ausharrte und an seinem Meisterwerk schrieb. Norbert Gstrein, Die englischen Jahre

So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich würde eher meinen, es stürbe sich hier. Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

Laurids Madsen havde været i Himlen, men kom ned igen takket være sine støvler. Carsten Jensen, Vi, De Druknede.

Es war ein Sommer und den ganzen Sommer lang Tage, an denen ich mich ärgerte, zu spät aus dem Bett gekommen zu sein, zu spät heraus aus dem Haus, so spät, daß es mich kaum erfrischte, aber weshalb auch, der Morgen verjagte meine Müdigkeit jeden Tag, wenn es noch nicht zu spät war, nicht so spät, daß ich schon ermüdete, wenn es schon wieder auf Mittag zuging, und wenn es mir zu langsam meinen Weg hinunterging. Wolfgang Hilbig, Aufbrüche

Det er noget arketypisk ved en telefon, der ringer sent om natten. Mark Ørsten, Venner og fjender

Die Stadt ist von zwei Menschenkategorien bevölkert, von Geschäftemachern und ihren Opfern, dem Lernenden und Studierenden, nur auf die schmerzhafte, einen jeden Lärm störende, mit der Zeit verstörende und zerstörende, sehr oft nur auf die heimtückisch-tödliche Weise bewohnbar. Thomas Bernard, Die Ursache, eine Andeutung

The southbound train from Paris was the one we had always taken from time immemorial – the same long slowcoach of a train, stringing out its bluish lights across the twilight landscapes like some super-glow worm. Lawrence Durrell, Monsieur or The Prince of Darkness

Schnee ist das erste, woran ich mich erinnere. Peter Wawerzinek, Rabenliebe

Landscape tones: brown to bronze, steep skyline, low cloud, pearl ground with shadowed oyster and violet reflections. Lawrence Durrell, Balthazar

Als ich zur Tür ging, drehte sich alles in mir. Brigitte Reimann, Die Geschwister

Jeg har altid været bange for morfar og ikke andet end bange. Knud Romer, Den Som Blinker Er Bange For Døden


The branches were strewn above them like distorted mosaics of crucifixions, the hawthorn bushes blocking out the few isolated stars to ensnare them within a crooked universe of twigs and briars. Dermot Bolger, The Journey Home.

Neunzehnhundertsiebenundsechzig legte mir auf der Baumgärtnerhöhe eine der im dortigen Pavillon Hermann unermüdlich tätigen geistlichen Schwestern meine gerade erschienene Verstörung, die ich ein Jahr vorher in Brüssel in der rue de la croix 60 geschrieben habe, auf das Bett, aber ich hatte nicht die Kraft, das Buch in die Hand zu nehmen, weil ich ein paar Minuten vorher erst aus einer mehrstündigen Narkose aufgewacht war, in die mich jene Ärzte versetzt hatten, die mir den Hals aufschnitten, um aus meinem Brustkorb einen faustgroßen Tumor herausoperieren zu können. Thomas Bernard, Wittgensteins Neffe.

Schon ehe der Mann mit der Kapitänsmütze aufgetaucht war, hatte sich eine vorahnende Beunruhigung an dem Knaben Etzel gezeigt. Jakob Wassermann, Der Fall Maurizius.


In meiner frühesten Kindheitserinnerung sehe ich mich unter einem runden Tisch mit einem Blechclown spielen, der auf einem Karren sitzt und beim Fahren auf einen Esel einschlägt. Valentin Senger, Kaiserhofstraße 12.


Der Sommer hatte spät begonnen. Iris Hanika, Treffen sich zwei.

Zwei Tage lang hatte er wie tot auf seinem Büffelledersofa gelegen. Eugen Ruge, In Zeiten des abnehmenden Lichts.


'My gentle one,' Mr. Karl Kopfrkingl said to his beautiful, blackhaired wife on the threshold of the Predator's House, as a faint early spring breeze stirred his hair, 'so here we are again.   Ladislav Fuks, The Cremator.


Nami schwitzt.  Bianca Bellová, Am See. 

Togets cylinder bøjer og vrider sig langsomt og i ryk der tilter de sovende passagerers hoveder fra side til side, samt flammen i kupéens paraffinlampe, den presser sig ind i mørket, trækker to slør efter sig, én af damp og én af kulos, jernet hamrer og banker, ujævnt og snubblende, stigende og faldende i klang, og Kaj, der ikke sover, vækker sin bror Ib, fordi han har brug for at snakke, og siger: Hør, Ib.   Kim Leine, Afgrunden.

In diesen Roman geriet ich aus Versehen oder vielmehr durch eine Bequemlichkeit.   Christoph Hein, Trutz.

Das Haus, das ich suchte, sah ganz nett aus, vor der Haustür stand eine Gaslaterne, der Gehsteig, früher mit Pflastersteinen belegt, war offenbar schon vor längerem aufgerissen und jetzt erst wieder zugeschüttet worden.   Bohumil Hrabal, Hochzeiten im Hause.

Sie besucht mich oft, meist kommt sie in der Nacht. Peter Stamm, Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt. 

Adolf Hitler hat mir das Leben gerettet. Jaroslav Rudiš, Nationalstrasse.

I fist met Dean not long after my wife and I split up. Jack Kerouac, On The Road.

Donnerstag, 4. August 2011

Ich lerne sehen...

Ich lerne sehen. Ich weiß nicht, woran es liegt, es geht alles tiefer in mich ein und bleibt nicht an der Stelle stehen, wo es sonst immer zu Ende war. Ich habe ein Inneres, von dem ich nicht wußte. Alles geht jetzt dorthin. Ich weiß nicht, was dort geschieht. Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge, S. 9.



Mittwoch, 3. August 2011

2. August

 
F.A.Z. vom 30. Juli

Gedenktag für Völkermord an Roma – Polen hat einen nationalen Gedenktag für die Opfer des deutschen Völkermordes an den Roma und Sinti eingeführt. Dieser findet ab sofort am 2. August statt. Das beschloss das polnische Parlament am Freitag mit 419 gegen eine Stimme. Am 2. August 1944 hatten die Nationalsozialisten im Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau das sogenannte „Zigeunerlager“ aufgelöst und in der folgenden Nacht die letzten rund 3000 Häftlinge in Gaskammern ermordet. Der Leiter des Menschenrechtsbüros der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Janez Lenarcic, rief die anderen Mitgliedsstaaten auf, dem „polnischen Vorbild“ zu folgen und ebenfalls einen solchen Gedenktag einzuführen. Insgesamt starben in Auschwitz-Birkenau mehr als 20 000 Roma und Sinti. Bereits seit 18 Jahren wird in der dortigen Gedenkstätte am 2. August der Opfer gedacht. (KNA)

Montag, 1. August 2011

NPD-Wahlkampf am 30. Juli 2011 in Greifswald

Die NPD bringt ja Arbeitsmarktthesen, die so auch von der Danske Folkeparti vertreten werden, und ihnen sicherlich einige Stimmen einbringen dürften – hoffentlich nicht genug. Aber sie bringen die Ängste einer in MV gar nicht so kleinen Gruppe realistisch auf den Punkt, auch wenn die Lösungsvorschläge allenfalls für eine Bundesrepublik der 80ziger Jahre realistisch wären. Aber eigentlich sollte man sie diese Thesen vortragen lassen. Wäre da nicht die ungeheure Verleugnung der Shoa. Ich schreibe Verleugnung, nicht Leugnung, weil man Pastörs und Anhang sicherlich eine Anerkennung des Holocaust abringen könnte. Aber sie verleugnen die Shoa, und träumen den Traum von einem Deutschland vor dem Ende der Wannseekonferenz. Aber Pastörs zu ermöglichen, von der „Judenrepublik“ zu reden – nachzuhören auf panorama.de – wo doch so viele getötet wurden, daß man auf jede jüdische Persönlichkeit, so wenige wie es sind, mit einem kleinen Aufatmen reagiert, dem Aufatmen, daß einige überlebt haben, nicht alle verbrannt (worden) sind, geht es nicht zu weit? Bemerkenswert, daß die Lieblingssprache dieses Mannes offenbar das Jiddische ist, „mishpoke“ nennt er die Unterstützer jenes Greifswalder Stadtrates, der ihm den gewünschten Demonstrationsweg verbauen möchte. Verleugnung ist in der Psychanalyse der Abwehrmodus der Perversion – etwas ganz und gar genießen, ohne im mindesten als Subjekt dafür einzustehen. Sehr viele, aber nicht alle sind verbrannt, aber die Brücke des Jiddischen zwischen den Ostsprachen und der Reichssprache ist wohl endgültig zerbrochen. Ich zitiere meinen Eltern gegenüber ein jiddisches Lied (von Mordechai Gebirtig in der Version von Iva Bittova), sie erschrecken und werden blass ob der fremden, fernen Nähe und Verständlichkeit. 

Ach so - die beiden Gegendemonstranten auf dem Foto sind Steven und Sophie, wir teilten uns eine Weile danach einen Regenschirm und sprachen ein wenig - danke für den Nachmittag!