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Dienstag, 7. Juni 2011

Niedecken, auch schon lang her

Anlässlich der Niedecken-Lesung heute in einem städtischen Kino versuche ich mein Verhältnis zu der in meinen späten Schuljahren so ermutigenden Band etwas auf den Begriff zu bringen, glücklicherweise fällt mir manches unterwegs wieder ein.




Wie das war mit Niedecken und BAP ist einigermaßen verwischt in der Erinnerung, aber gerade fällt mir ein, daß ich es doch Volker zu verdanken habe, mich auf diesen Slang und diese Gefühle eingelassen zu haben, der, als wir gemeinsam auf der Schule, dieser Friedrich-Ludwig-Jahn-EOS diese wichtigen zwei Schritte schon lange vor mir gegangen war: sich auf das sperrige Kölsche einzuhören in einer Gegend wo die klare, wenn auch karge Sprache der Standard war, und sich auf den Pathos einzulassen, den ich heute mit der Dylan-Identifizierung von diesem Wolfgang Niedecken verbinde und wohl schon immer mit der Gitarre vom Major verbunden hatte. Diese Soli, die eine irgendwie in die Zwischenräume gesungene Liedzeile aufnehmen und variieren, und dann ganz und gar weiterzutragen beginnen.
>Nímm mích mít<, wie man wahrscheinlich in Hildesheim sagen würde“, stimmte ein auf die Selbstreflexivität der frühen Reife (der Wunsch nach einem starken Impuls und das Hadern mit seinem Ausbleiben), und ließ uns vielleicht einmal schon auf das blicken, was Wolfgang bereits eine Weile mit Volker und allmählich auch mit mir machte: ...su nüdisch wie em Aurenbleck hann ich e Luftschloss lang/ nit mieh gehatt... , uns verführen und dabei auch dazu stehen, verführt werden zu wollen. Das ging so direkt gegen das depressive, aber auch verächtliche Arrangement mit den spätsozialistischen Zuständen, keine rechten Studienaussichten für uns, alte Männer, die sich in ihren Neidkomplexen vor allem damit beschäftigen, repressive Regeln gegen die lebendigsten Jungen auszulegen, und das alles vor dem Hintergrund der ewig bildungsbürgerlichen pomm'rischen Stadt, die selbst mit dem DDR-Sozialismus recht eigentlich nichts zu tun haben wollte.
Kumm, lommer flüchte, nit op Ecke ston, op Wunder waade, bess mer alt un grau sind, Weg tun Gerüchte, Stammtisch, Märsche, Minsche, /die jeföhllos, doch dofür jenau sinn..., kam bei uns unmittelbar an, dieser Fluchtimpuls, zu, wegen, mit der großen Liebe, „von mir uss Kitsch“. Dennoch blieben die affirmativen Liebeslieder eine Ausnahme – Carmen war halt eine Insel - eigentlich spielte BAP die bittersüße Trennungsmusik – von „Anna dreh' dich nit ömm“ bis „Alexandra, nit nur du“, und kaum eine der Frauen, die wir kannten, konnte das leiden (Stimmt das jetzt, Volker?). Lieber Wolfgang, übrigens, für diese Zeile, „manch eener föllt sich he im Stich jelosse, Alexandra nit nur du“, und das Stück überhaupt, wirst Du den Platz in meinem persönlichen Olymp behalten, so lange ich lebe, eine Zeile für diese Scheißalternative, einander wieder -und auf einem Höhepunkt eigener Angst - in sein ganz persönliches Ausgeliefertsein entlassen zu müssen.
Plötzlich, getrennt, „endlich alleen“, scheinen wir auch von unserem Begehren getrennt, und die Welt erreicht uns als semblage, „Bild wie vun Breughel und Bosch“, ein Maler zu sein half Wolfgang vielleicht, daß so zu schildern, wie in Bahnhofskino, oder auch, mehr auf die Spuren der Liebe und der Wiederholung hin, in „Zufall un e janz klee' bessje Glöck“. Ja, auch in Kristallnaach – aber das muß gesondert behandelt werden. Erstmal was zu den warmen Worten – so waren die Einleitungen der LP-Texthefte übertitelt. und, lieber Wolfgang, Du kannst Dir etwas darauf einbilden, daß wir verkappten Punks eigentlich grundsätzlich Deine warmen Worte gelesen haben, Pathos von der Rolle, und doch mußten wir Dir glauben, daß Du das hast und nichts anderes, Dein Köln und Deine Fluchtträume, und die unerhörte Freiheit, nicht wirklich weggehen zu müssen. In den Zeilen, die Verdamp lang her einleiten, ist vom Tod des Vaters die Rede, merkwürdig, daß ich viele Male erfahren habe, was Bap auf kölsch bedeutet, und es so viel Male vergessen habe. „Häss fess jegläuv, dat wer im Hemmel op dich waat, 'ich jönn et dir', hann ich jesaat“, diese Zeile aus Verdamp lang her, drückte früh aus, was wir nicht zu wünsche wagten, dem Vater zu verzeihen und ihm sein Luftschloss zuzugestehen, viel Zeit mußte vergehen, ehe wir darüber in Prosa sprechen konnten. Aber so muß es auch für Wolfgang gewesen sein, jene einleitende Zeilen in der Textbeilage sprechen von gesammelten Textfetzen, aber auch davon, sich zum ersten Mal gegenseitig für voll zu nehmen.
Und überhaupt, Hildesheim, Hagen und Fallingbostel, diese ganzen provinziellen Peripherien, stützten irgendwie unser Metropolen-Mißtrauen, das damals dem verkommenen und so kalten Ostberlin galt. Selbst Köln ging als vertrautes Mikromilieu durch und wurde nie richtig großstädtisch – ohne die Möglichkeit auf einen Realitätstest. Wie eine Bestätigung erschien – auch im Osten – die vierte LP mit einem dörflichen Tonstudio auf dem Cover. Hätte Amiga das Textheft dazugelegt, hätten wir schon damals lesen können, daß es sich um einen stillgelegten Bahnhof handelte.
Als Reggea auf dem ersten Livealbum lustvoll zelebriert, hörten wir Stell dir vüür ab auf Hinweise auf die tatsächliche Repressivität bundesdeutscher Institiutionen – unser Mißtrauen den allzu leichthin den Westen Lobenden im Hintergrund – und doch fiel die Prüfung zu dessen Gunsten aus. Diese Gewissenprüfung würden wir bestehen. Immer, wenn der Ausdruck von Aufruhr und diffuser Widerständigkeit, direkt körperlich in Zehnter Juni: mir bricht der Schweiß bei jedem Woot vun üch uss, sich an eine Sache zu binden beginnt, wird es riskant – das war deutlich in den Rheinauen 1982, als es gegen Reagan und den Raketenbeschluß ging, mit der DKP und einer Reihe Volk, die von der sowjetischen Bedrohung nichts wissen wollten. Wir im Osten waren da nicht so in Gefahr, das zu unterschätzen, hielten Bap stirnrunzelnd die Treue und sangen derweil den Refrain unseren kleinen Herrschenden ins Ohr, plant mich bloß nit bei üch ein, sick ich üch durchschaut hann, weiß ich, dat ich nit om allerfalschste Dampfer benn, aber vor allem einander Mut zu. Fast schon zu spät kamen die Zeilen in Deshalv' spill' mer he die uns doch unmittelbar adressierten: mir hann Frönde he, die hann kein wieße Duuv op blauem Grund, die hann 'ne Schmied, dä mäht 'n Schwert jraad zo 'nem Plooch, en SS 20 zo nem Traktor un en Pershing zo ner Lok..., mit denen sich so deutlich auf die Seite eines streitbaren Pazifismus schlugen, endlich, so daß sie Unter den Linden schließlich nicht anders behandelt wurden als andere Pazifisten in diesem Lande auch. Es war nur Tage später, als die Band, mit einem erkälteten Niedecken, und erweitert um einen wunderbar schräg daherkommenden Bläsersatz, in der kalten Waldbühne spielten, und wir uns darauf einzurichten begannen, in Drei Wünsch frei (der Rias übertrug und das war meiner Erinnerung nach das erste Stück) nunmehr Staatssicherheit mitzusingen, wo vom Verfassungsschutz die Rede war. In diesem Konzert (ich hätte so gern eine Aufnahme) war es auch, als Niedecken sich das Mitklatschen in Kristallnaach verbat, und das Publikum folgte auf's Wort, und plötzlich bekam das Konzert beinahe den Charakter einer Messe. Kann es sein, daß es hier um etwas ging, mit dem Niedecken sich auch nicht ganz wohl fühlte? Damit bin ich im Nachhinein beschäftigt, und vielleicht auch mit dem Titel unglücklich, denn eigentlich ist von der sich immer wieder abspielenden Kanalisierung projektiver Spießerinstinkte die Rede – so Niedecken im Textheft. Ist es nun unserem ostdeutschen Hintergrund geschuldet, daß ich das Lied immer wieder auf Hinweise zur Vorgeschichte der Shoa absuchte, von der es so wenig Zeugnis gab in unserem Land? Und die Suche nach den jüdischen Opfern – der Kristallnaach, der Shoa, geht in diesem Stück ins Leere – also doch eine Betrachung sich wiederholender Momente. Niedecken schrieb das Stück in Griechenland, ist mit der Junta dort beschäftigt, aber warum dann dieser Titel? Ausgerechnet in der letzten Strophe wird so etwas wie ein Verführer benannt in diesem Stück über Verführbarkeit: en barbarischer Gier noh Profit. Konnte hier vielleicht nicht von der Shoa die Rede sein, weil hier die Faschismustheorie der DDR anklang – Herrschaft der aggressivsten Kreise des Monopolkapitals – die die Shoa unerwähnt lässt wie sie nicht erklären konnte?


//Zitierte Stücke
Verdamp lang her – aus für usszeschnigge 1981
Kristallnaach, Zehnter Juni – aus vun drinne noh drusse 1982
Nemm mich met – aus bess demnähx 1983
Alexandra, nit nur do, Deshalv spill' mer he, Drei Wünsch frei – aus zwesche Salzjebäck un Bier 1984

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