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Donnerstag, 9. Februar 2012

André Green ist tot

André Green, französicher Psychoanalytiker, *12. März 1927 in Kairo, starb am 22. Januar 2012 in Paris. (48° 51′ N, 2° 21′ O)




Die Angst, die magersüchtige Frauen in Augenblicken äußern, in denen sie von einer Art Verschwinden fasziniert werden, reproduziert den Schreck von damals, als sie dachten, die Mutter würde sie in ihrer Leere mit sich fortziehen. Dieser Schreck ist nach Bion ein "namenloser Schreck" oder nach André Green eine Identifizierung mit der "toten Mutter" und das Streben nach der Einheit mit ihr in einer gegenseitigen Erfüllung nicht der Lebenstriebe, sondern des Nirvanaprinzips , "jede Erregung auf Null zurückzuführen." Für magersüchtige Frauen wird der Tod vollkommen mit der Mutter identifiziert. Sie ist die Todbringende. "Ich trage meine Mutter in mir", denken sie unbewußt. "Sie verläßt mich nicht, und kein anderer kann ihren Platz einnehmen, meine Scheide ist tot."
Alle Öffnungen sind Einbrüchen ausgeliefert und müssen daher geschlossen bleiben. Die Anorexie wird zum Zeichen eines unaufhörlichen Kampfes gegen eine Einkerkerung und einen todbringenden Übergriff in einer Dialektik zwischen Eindringen und Deprivation. Bei magersüchtigen Frauen, die an Vaginismus leiden, finden wir immer wieder die unbewußte Phantasie der aufdringlichen, vergewaltigenden Mutter. Dennoch weist Vaginismus meist auf vorzeitige sexuelle Verführungserlebnisse hin, bei denen die Initiative von anderen ausging (allgemein von einem inzestuösen Erwachsenen), von einfachen verbalen Annäherungen oder Gesten bis zu einem mehr oder weniger ausgeprägten sexuellen Attentat, die vom Subjekt passiv und mit Schrecken erlitten wurden. Und wo war derweil die Mutter?
Durch das Erbrechen meint das magersüchtige Subjekt, es würde über eine imaginäre Allmächtigkeit, über eine verborgene Waffe verfügen, die die Verweigerung und die Aufhebung des "Ja" durch das "Nein" ermöglicht. Es kämpft um die Illusion, daß der "Sexualschreck", diese schmutzige "Bestie", von dem es besessen ist, weggespült werden kann. Die Magersucht und die Eß-Brechsucht ist eine Reise, von der das Subjekt nicht zurückkehrt und die keine Spuren hinterläßt.


aus:

Patricia Bourcillier: Magersucht & Androgynie, Paris, 2011 (?). Merci!

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